Autor: Tomasz de Crignis
Das Wachstum im Luxusmarkt scheint unaufhaltsam. Für Luxuskonsumgüter wie Lederwaren und Schuhe, Bekleidung, Parfum, Kosmetik sowie Uhren und Schmuck wurden 2016 weltweit knapp 250 Milliarden Euro ausgegeben. Das sind rund 70 Milliarden Euro mehr als noch vor 10 Jahren. Rechnet man Gebrauchsgüter wie Autos und Möbel sowie Dienstleistungen wie Reisen hinzu, kommt man sogar auf ein gesamtes Marktvolumen von mehr als 850 Milliarden Euro. Doch welchen Anteil haben deutsche Hersteller an diesem Markt?
Escada, Strenesse, Rene Lezard, St. Emile, Roeckl – namhafte Hersteller mit Tradition und Historie haben Antrag auf Insolvenz gestellt. Glashütte gehört zur Swatch Group, Chronoswiss hat seinen Unternehmenssitz in die Schweiz verlagert, Philipp Plein ist schon länger dort. Porsche kämpft mit dem Diesel-Skandal. Adlon und Atlantic leben im Glanz der vergangenen Zeit, während die Welt über „The Oberoi“, „Hotel Grand Bretagne“, „Mandarin Oriental“ oder „The Peninsula“ spricht. Ist der deutsche Luxus nicht mehr gefragt? Sind die Rahmenbedingungen für Luxushersteller in Deutschland nicht mehr attraktiv? Wir haben den deutschen Luxus unter die Lupe genommen und eine spannende Entdeckung gemacht.
Es formiert sich eine neue Form des Luxus in Deutschland. Marken die hochqualitativ und exklusiv sind sowie eine hohe Begehrlichkeit wecken, distanzieren sich vom klassischen Luxus-Begriff. Statt „Opulenz“ und künstlicher „Verknappung“ liefern sie einen erlebbaren, meistens technischen oder funktionalen Mehrwert, der die Lebensqualität spürbar verbessert. Sie überzeugen durch solides Handwerk, zukunftsorientierte Konzepte und nachhaltiges Handeln. Diese Marken sind vor allem eines: wesentlich weniger aufdringlich. Dadurch aber auch in der breiten Bevölkerung weitgehend unbekannt. Ein paar Beispiele:
- Gmund: Eine Marke für feinstes Büttenpapier. Roman Abramowitsch, Marissa Mayer bestellen hier ihr Briefpapier. Die Umschläge für die Oscar-Verleihung oder die Einladungskarten für den Bundespresseball werden in Gmund noch traditionell hergestellt.
- Talbot Runhof: Steht für Abendmode, die u. a. von Lady Gaga, Angelina Jolie, Anna Netrebko, Bettina Wulff und Julia Roberts getragen wird
- Nesmuk: Die schärfsten Messer der Welt. Ihre vorderste Schneidkante ist nur einen tausendstel Millimeter dünn. Selbst Samurai-Schwerter sind doppelt so dick.
- T&A: Steht für Theorie und Anwendung in Sachen Audio-Technik. Der Gründer und Geschäftsführer Siegfried Amft akzeptiert keine Grenzen wenn es um seine Produkte geht und scheut weder Kosten noch Mühe, um klangliche Perfektion zu erreichen.
Ein komplette Übersicht der von uns analysierten Marken finden Sie hier.
Was haben diese Marken gemeinsam?
Qualität, Perfektion und Ästhetik sind ihre Erfolgstreiber
Diese Marken zeichnen sich durch überdurchschnittliche Qualität und Perfektion der Produkte sowie durch eine hohe Ästhetik im Produktdesign aus. Mit diesen wichtigen Alleinstellungsmerkmalen differenzieren sie sich im Wettbewerb. Die enorme Produktkompetenz löst Begehrlichkeit bei „Kennern“ aus.
Begeisterung ist der zentrale Antrieb der Menschen hinter den Marken
Hinter diesen Marken stehen Gestalter, die ihren persönlichen Anspruch verwirklichen, ohne dabei den Kunden aus dem Blickfeld zu verlieren. Sie sind überzeugt und begeistert vom eigenen Produkt und schaffen es, ihre Kunden mit dieser Faszination anzustecken.
Authentizität und Bodenständigkeit sind gelebte Werte
Greifbare Werte, die durch die Unternehmerpersönlichkeit geprägt sind, spiegeln sich konsequent in allem, was die Marke „tut und lässt“. Dabei stehen traditionelle Werte, wie Verbindlichkeit, Bescheidenheit und Ehrlichkeit im Vordergrund.
Höchste Qualität ist in erster Linie ein persönlicher Anspruch
Das Qualitätsstreben ist „pathologisch“ und zwar auf allen Ebenen: Funktion, Design, Materialien und Haptik. Das bestmögliche Produkt entsteht nur durch einen hohen persönlichen Anspruch und eine sorgfältige Auswahl hochwertiger Materialien. Diese Perfektion spiegelt sich auch in den Detaillösungen wider. Das handwerklich maximal Machbare ist das Ziel, keine Kompromisse bei den verwendeten Materialien, keine Details nur zum Schein. Durch ausgeprägte Loyalität zu wenigen, ausgewählten Lieferanten wird sichergestellt, dass in allen Wertschöpfungsstufen das gleiche Verständnis von Qualität gelebt wird. Ungewöhnliche Garantiezeiten (teilweise lebenslang) sowie fast uneingeschränkte Service- und Zusatzleistungen sind selbstverständlich und schaffen einen erlebbaren Nutzen.
Das Design ist typisch deutsch: klar und funktional
Zurückhaltung, Understatement und Reduktion auf das Wesentliche sind die wichtigsten Design-merkmale. Durch bewusstes Verzichten auf Dekoration und schmuckes Beiwerk sind die Produkte modischen Aspekten nicht unterworfen, sondern zeitlos. Design soll schön sein, aber kein Kunstwerk. Die persönliche Handschrift in „Form und Funktion“ ist immer wieder erkennbar.
Die Pflicht ist erfüllt, jetzt folgt die Kür
Die Zukunft der deutschen Luxus-Industrie sieht also vielversprechend aus. Es gibt eine Vielzahl noch kleiner und unbekannter Luxusmarken mit viel Potenzial. Sie haben eine beachtliche Substanz aufgebaut, die es nun zu vermarkten gilt. In dieser Disziplin sind die französischen und italienischen Luxusmarken deutlich voraus. Um in dem weltweiten Wettbewerbsumfeld wachsen zu können und auch international an Bedeutung zu gewinnen, müssen die deutschen Luxusmarken ihre Bescheidenheit und Zurückhaltung in der Vermarktung zumindest etwas ablegen. Die fehlende Marken-Bekanntheit sowohl in der Fokus-Zielgruppe als auch in der breiten Öffentlichkeit ist die erste Hürde, die deutsche Luxusmarken überwinden müssen. Gleichzeitig stellt der Markenauftritt für viele dieser Marken eine weitere Herausforderung dar. Der für das Produkt herrschende Qualitätsanspruch scheint häufig nicht für die Markenkontaktpunkte zu gelten. Die vorhandene Produktkompetenz wird noch nicht ausreichend durch die Marke an den wichtigsten Kontaktpunkten transportiert. Es wird spannend zu beobachten, wie sich die neuen Luxusmarken aus Deutschland bei der Bewältigung dieser Herausforderungen schlagen.
Wir wünschen ihnen auf jeden Fall viel Erfolg und freuen uns auf weitere tolle und substantielle Marken aus Deutschland.