Autor: Robert Klostermeier
„Digitalisierung“ – ein Begriff, der seit Jahren in aller Munde ist und von Wissenschaftlern, Unternehmen sowie der Gesellschaft täglich diskutiert, teilweise breitgetreten, wird. Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive gibt es heutzutage keine Branche mehr, die nicht von der Digitalisierung betroffen ist. Rasante technologische Entwicklungen und immer kürzer werdende Innovationszyklen verleihen der gesamten digitalen Welt eine zunehmende Dynamik und Komplexität.
In vielen Märkten wird bereits von „digitalem Darwinismus“ gesprochen. Geschäftsmodelle etablierter Unternehmen können binnen kürzester Zeit durch disruptive neue Wettbewerber in Frage gestellt werden. Das heißt, was im Tierreich schon seit Jahrtausenden gilt, ist nun auch in der Weltwirtschaft angelangt: Nicht die großen oder intelligenten Lebewesen überleben, sondern diejenigen, die sich am besten und schnellsten an die geänderten Umweltbedingungen anpassen.
Um die neuen Herausforderungen zu bewältigen brauchen Unternehmen bestimmte Key Skills, wie Schnelligkeit, Agilität, Durchsetzungs- und Umsetzungsstärke. Gefragt sind also proaktive Leader mit den Fähigkeiten, die richtigen Themen zu erkennen und anzustoßen, Menschen zu motivieren und konkrete Umsetzungs-Guidelines zu definieren. Es gilt, das Fundament der Organisation (Selbstverständnis, Positionierung und Verhaltensweisen) zu hinterfragen und an die veränderte, digitale Umgebung anzupassen.
Wie man sich die grenzenlosen digitalen Möglichkeiten richtig zu Nutze macht, zeigen Beispiele wie Uber, die den weltweiten Taxiverkehr auf links gedreht haben oder N26, die das gesamte Privatkundengeschäft der Finanzbranche in Frage stellen. Solche disruptiven Marken bieten ihrer Zielgruppe eine ideale Lösung für ein Problem, welches im Bewusstsein noch gar nicht besteht. Sie antizipieren also die Bedürfnisse der Menschen und sind, gepaart mit branchenrevolutionierenden Technologien, in der Lage innerhalb kurzer Zeit immense Reichweite und Wahrnehmung zu generieren. Der Vorteil dieser hochinnovativen und sehr jungen Unternehmen liegt klar darin, dass sie im Zeitalter der Digitalisierung entstanden sind und ihr Geschäft mit ganz anderen Voraussetzungen starten können.
Die Herausforderung für etablierte Unternehmen besteht nun darin im digitalen Sprintrennen den Marathon zu gewinnen. ABER: Wie gewinnt man diesen Wettlauf? Wie fokussiert man die richtigen strategischen Ziele? Und wie kann man den Kunden neben all diesen Fragen und Herausforderungen dennoch nachhaltig begeistern und an sich binden?
Marke als Eintrittskarte für die Digitalisierung
Viele Unternehmen unterschätzen nach wie vor die Kraft der Marke. Allerdings kann diese, gerade in Zeiten großer Umstrukturierungen und organisatorischer Neuausrichtung, den Mitarbeitern und vor allem den Kunden, Vertrauen und Orientierung geben. Die Marke hat eine Ankerrolle inne, die dazu beiträgt, die Leistungsfähigkeit und die Strukturen der Organisation so zu entwickeln, dass in Veränderungszeiten die eigene Marktstellung gestärkt und zukünftiger Erfolg sichergestellt wird. Eine starke Marke ist daher ein Kernelement für die Wettbewerbsfähigkeit, gerade wenn man zukünftig auch Wettbewerbern anderer Branchen gegenübersteht.
Wie können etablierte Branchengrößen, Familien- und Traditionsunternehmen reagieren, um sich nach wie vor gegen schnellentwickelnde Start-ups zu behaupten oder besser, sich von diesen zu differenzieren?
Es gilt, das eigene Know-How zu challengen und im Hinblick auf Digitalisierung weiterzuentwickeln.
Marke als Erfolgsgarant für den Erwerb externer digitaler Expertise
Eine Möglichkeit zur Steigerung der digitalen Expertise besteht in Form von gezielten Zukäufen, Venture-Capital-Beteiligungen oder durch die Bildung strategischer Allianzen/ Kooperationen/ Joint Ventures mit anderen Unternehmen. Neben dem Wissen erwerben Unternehmen außerdem den Zugang zu digitalen Geschäftsmodellen, die neue Vertriebs- und Absatzmöglichkeiten eröffnen. Daher ist insbesondere aus Markensicht die Zusammenarbeit interessant. Etablierte Player können ihre bereits aufgebaute Bekanntheit und Markenstärke dazu nutzen, die gemeinsam mit jungen Unternehmen entwickelte digitale Lösung schnell in den Markt zu transportieren und sofort einer breiten Kundengruppe zugänglich zu machen. Die Nutzung beziehungsweise Bündelung finanzieller Power ist zudem unter Marketinggesichtspunkten ein wettbewerbskritischer Erfolgsfaktor.
Marke als Magnet beim Aufbau von Digital Human Capital
Ziel muss es sein, digitale Expertise auch inhouse über die Rekrutierung digital-affiner Mitarbeiter aufzubauen. Zur Gewinnung von Digital Talents ist es entscheidend sich mit der eigenen Marke als Digital Employer zu positionieren. Eine klare Kommunikation des eigenen digitalen Anspruchs kann im War for Talents der Schlüssel sein sich als Arbeitgeber zu differenzieren. Im Idealfall sind Unternehmen soweit digitalisiert, dass Routinearbeiten beschleunigt und zusätzlich ein flexibles Arbeiten ermöglicht wird. Dies schafft neue Gestaltungsfreiräume und bietet ein Arbeitsumfeld mit „Test-and-Learn“-Mentalität, was gerade Digital Natives anspricht und verstärkt anzieht.
Fazit: Gemeinsam mit Marke und Digitalisierung fit für die Zukunft
Alteingesessene Unternehmen leben bei ihren Kundenbeziehungen vor allem von jahrelang aufgebautem Vertrauen. Genau dieses Vertrauen der Zielgruppe kann ein entscheidender Schlüssel sein, um gerade von der emotionalen Bindung zu profitieren. Für neue digitale Produkte und Lösungen bedeutet dies, dass nicht zwangsläufig auf Anhieb die perfekte Lösung angeboten werden muss, Unternehmen sollten jedoch als kompetenter und authentischer Ansprechpartner an allen Kontaktpunkten dem Käufer bei seinen Anliegen zur Verfügung stehen. Sogenanntes Social Listening, also das Tracking von Online-Konversationen über die eigene Marke oder Branche kann dabei neben den herkömmlichen Research-Tools eine äußerst wirkungsvolle Ergänzung darstellen. Damit ist es möglich, Probleme und Wünsche der Zielgruppe frühzeitig zu identifizieren. In einen konkreten Nutzen übersetzt, bietet Digitalisierung im Kontext der Kundennähe ganz neue Möglichkeiten, nämlich das Ohr am Konsumenten zu haben, um noch besser auf diesen eingehen zu können.
Das wohl wichtigste Learning für Unternehmen ist, ein „Macher-Gen“ in der Organisation zu etablieren. In der heutigen „always in Beta-Welt“ tolerieren es Kunden, eine angebotene digitale Lösung auch erst am Markt weiterzuentwickeln. Auch mit kontinuierlichen Verbesserungen können immer neue Begeisterungsmomente bei den Kunden ausgelöst werden. Vor diesem Hintergrund können gerade internationale Player beim Markteintritt ihrer Entwicklungen von Bekanntheit, Sympathie, Vertrauen und Loyalität der Zielgruppe zur Marke profitieren. Genau diese Markenwertschätzung ist kriegsentscheidend, um im Zeitalter der Digitalisierung wettbewerbsfähig zu bleiben.
Im Sinne des „digitalen Darwinismus“ lautet die Quint-Essenz: Unternehmen, die es schaffen ihre eigene Digitalkompetenz weiterzuentwickeln und in der Lage sind diese mit ihrer Marke und dem Geschäftsmodell zu vereinen, treten als Gewinner hervor – für alle anderen gilt: adapt or die!