Was Marken, Identität und Purpose mit der Liebe zu tun haben

Autor: Stefan Sell

Wir schreiben das Jahr 2021 und Corona bedingt ist die nervliche Situation im Marketing-, Marken- und Kommunikationslager nach wie vor – tja, wie soll man das vorsichtig formulieren? Angespannt. Kein Wunder, das Virus kam und mit ihm die Vollbremsung. Wirtschaftlich und gesellschaftlich.  Gerade hat der Veranstalter der EuroBlech verraten, dass die internationale Leitmesse für Blechbearbeitung natürlich wieder analog stattfinden wird – jedoch erst im Oktober 2022. Das neue Normal ist das alte Seltsam und in diesem ganzen Stillstand fühlt sich eine Diskussion um Marken und deren Selbstverständnis ein wenig, genau, seltsam an.

 

Wenn nicht jetzt, wann dann?

Aber, Hand aufs Herz, vielleicht ist jetzt, Mitten in der Krise, genau der richtige Zeitpunkt, die Frage nach dem Markenkern, der Markenidentität und dem Selbstverständnis zu stellen. Gerade hat Thomas Koch, der sympathische Media-Satyr (und das meine ich als tiefempfundenes Kompliment) in einem Beitrag für die Plattform meedia.de die Marke, besser die Lovebrands, zu Grabe getragen[1].  Wie immer pointiert, vor Ironie triefend und in Teilen schmerzhaft ehrlich. Und auch wenn man ihm nicht in der vollen Gänze seiner Polemik folgen will, so ist doch eins klar: die Fragmentierung von Marken durch die Digitalisierung zeigt ihre Wirkung. Das ist nicht gut oder schlecht, das ist einfach so.

 

Was Marketing mit Bowling und Flippern zu tun hat.

Der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Dr. Henning-Thurau hat mal in einem bemerkenswerten Beitrag, die Veränderung des Marketings in Zeiten der Digitalisierung mit dem klassischen Bowling und dem Flippern verglichen. Schickten früher die Marketing-Experten eine dicke, schwere Kugel auf die Bahn um die Kegel abzuräumen, muss heute eine Marke oftmals mehrere kleine Kugeln kontrollieren, die elektronisch die Scores in die Höhe treiben, oder eben auch nicht. Mit dieser neuen Vielfalt ist die Welt der Marken komplexer geworden. Man kann nicht mehr mit einem Rezept, ob einfach oder kompliziert, allen Herausforderungen begegnen.

 

One size doesn’t fit all.

Die Digitalisierung der Medien- und Kommunikationswelt hat dazu geführt, dass wir eine unglaubliche Wahlfreiheit in der Mediennutzung haben, was sich natürlich auch und gerade in unserem Verhältnis zu den Marken widerspiegelt. Gerade im B2B-Markenverständnis hat Corona zu einem rasanten Wandel geführt. Durch das Wegbrechen des klassischen Vertriebskanals „Messe“, verlagert sich die Customer Journey derzeit ausschließlich ins Netz. Dabei muss man bedenken, dass es sich meist um erklärungsbedürftige Produkte für eine sehr spitze Zielgruppe handelt. Wie kann also hier der Purpose helfen?

Neuer Wein in alten Schläuchen oder das nächste Ferkel auf der Dorfstraße?

Wenn wir mal bei dem schönen B2B-Beispiel bleiben, dann reibt sich der ein oder andere geneigte B2B-Mittelstands-Marketer beim Thema Purpose wahrscheinlich die Äuglein. Wie jetzt? Neben dem Markenkern, den Markenwerten, der Marken-DNA, der Mission, Vision kommt jetzt der gute alte Zweck um die Ecke? Wenn Sie heute den Seniorchef eines schwäbischen Maschinenbauers fragen, warum er morgens aufsteht, dann wird er im Zweifel antworten „weil I (ich) ins G‘schäft (in mein Unternehmen) muss“. Das soll heißen, dass auch wenn die Zivilgesellschaft vermehrt die Unternehmen dazu aufruft, im Sinne einer fairen, ökologischen, lebenswerten Welt zu handeln, gerade eine B2B-Marke tunlichst darauf achten muss, hier nicht unter die politisch ambitionierten Räder zu geraten.  Denn schon sprießen die Purpose-Blumen auf der Mittelstandswiese und sehen alle ziemlich ähnlich aus. Wer Purpose losgelöst von der Marke, den Werten oder der Identität betrachtet, macht schon den ersten und damit entscheidenden Fehler. Purpose ist kein neues Vertriebs- oder Marketing-Tool mit dem ich jetzt meinen Markt rocke, sondern hat immer einen sehr engen Bezug zur Kernkompetenz und damit zum Markenkern des Unternehmens. Wenn mein Unternehmen jetzt neben komplett generischen Begrifflichkeiten, wie Kompetenz, Vertrauen, Innovation und Miteinander plötzlich den Weltfrieden, Naturschutz und die besonders nachhaltige Produktion eines Laserschweißkopfes als Daseinszweck präsentiert, dann kann man schon ein wenig stutzig werden.

 

Purpose als Teil der Marke.

Emke Hillrichs hat am 29. November vergangenen Jahres in der w&v das Thema sehr schön auf den Punkt gebracht: Purpose muss man finden – nicht erfinden. Der Daseinszweck kann also nicht von einem Berater ins Unternehmen reingetragen und dort implementiert werden, sondern er muss aus Ihrem Unternehmen für Ihre Unternehmen funktionieren. Und genau an dieser Stelle kann man auf die gute alte, solide Markenarbeit zugreifen. Wenn hier schon Vorarbeiten geleistet wurden, kann man mit diesem Erfolgshebel schnell und unkompliziert den Purpose entwickeln. Wobei dieses Prädikat bewusst gewählt wurde: Wir sprechen hier nicht von einer kurzfristigen Werbe-Kampagne oder kreativen Idee, sondern von einem nachhaltigen und dauerhaften Prozess, der professionell begleitet werden sollte. Denn der Purpose muss, wie Marke, Werte und Kommunikation ein Teil der Unternehmensstrategie sein und sollte auch so behandelt werden.

 

Ist es wahre Liebe?

Wenn wir jetzt auf die eingangs erwähnten und von Thomas Koch zu Grabe getragenen Lovebrands zurückkommen, dann müssen wir feststellen, dass der Purpose die klassische B2B-Marke nicht über Nacht zum love-interest werden lässt. Wobei aber die Beschäftigung mit dem Purpose und damit auch mit Marke & Co. gerade in Krisenzeiten, B2B-Unternehmen eine feste und solide Basis geben kann, die hilft, den Unwägbarkeiten der Digitalisierung intern und extern besser zu begegnen. Denn, wenn ich weiß, wofür ich aufstehe, dann stehe ich schon ein bisschen leichter auf. Und wenn ich als Kunde weiß, dass sich ein Unternehmen mit diesem Thema ernsthaft und nachvollziehbar beschäftigt, dann bringe ich diesem Unternehmen wahrscheinlich mehr Loyalität entgegen, als anderen – auch wenn es sich dabei garantiert nicht um Liebe handelt.


[1] https://meedia.de/2020/11/02/die-marke-stirbt-den-digitalen-tod/

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